Pflegebildung ist Pflegebindung
Interview mit Prof. Dr. Michael Isfort, Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip)
Herr Prof. Dr. Isfort, bei der AcU-Fachtagung im Mai 2023 sprachen Sie zum Thema "Pflegebildung ist Pflegebindung" und stellten den Zusammenhang zwischen Ausbildungsaktivitäten und betrieblichem Erfolg dar. Was sollten caritative Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Ausbildungskonzepte - vor allem in der Pflege - beachten?
Ich denke, dass es für alle Verantwortlichen in der Pflege wichtig ist zu berücksichtigen, dass die Pflegearbeit durch drei Treuebegriffe bestimmt wird: Pflegende sind ortstreu, sektorentreu und berufstreu. Damit ist gemeint, dass sie im Umkreis von maximal 20 Kilometern leben und arbeiten, dass eine nachfolgende Beschäftigung (nach einer Kündigung) wieder im gleichen Sektor stattfindet und dass sie in aller Regel langjährig im Beruf tätig sind. 75 Prozent der Pflegenden sind seit 10 Jahren oder darüber hinaus unterbrechungsfrei tätig.
Weche berufsdemografischen Entwicklungen erwarten Sie in den kommenden Jahren?
Rund 35 Prozent der Pflegenden in Deutschland sind 50+. Das ist eine Herausforderung. Auch wenn Modelle nie fehlerfrei sind, so komme ich aktuell zur Einschätzung, dass wir ab 2027 nahezu alle Absolventinnen und Absolventen aus der beruflichen Qualifizierung benötigen, um die Anzahl der Pflegenden auszugleichen, die in die Rente einmünden. Für weiteren Strukturaufbau oder substanziellen Personalaufbau werden wir schlichtweg keine Ressourcen haben.
Ein Fazit Ihres Vortrages lautete: Pflege regional befördern. Was heißt das genau?
Pflege kann und muss regional beantwortet werden. Die demografischen Entwicklungen der Bevölkerung, die örtlichen Strukturen und auch die Ausbildungsintensität aber sind regional höchst unterschiedlich verteilt. Für die jeweiligen Landkreise existieren damit sehr unterschiedliche Bedingungen. Das kann nur vor Ort - und zwar sektorenübergreifend - beantwortet werden. Wir bemühen uns, dazu Daten zur Verfügung zu stellen, wie z.B. in der Landesberichterstattung in NRW, im Landespflegebericht Niedersachsen, im Pflegepersonalmonitoring in Bayern oder auch in Baden-Württemberg. Es braucht regionale Verbünde und Bündnispartner, die sich gemeinsam dem Ziel verpflichten, die Versorgung für die Bevölkerung vor Ort zu stabilisieren. Einseitige Strukturierungen, wie z.B. im Krankenhausbereich alleine, helfen hier nicht weiter.
Es kursieren viele Aussagen in der Öffentlichkeit. Wird es z.B. so etwas wie einen Pflexit in absehbarer Zeit geben?
Aktuell und auch während der Pandemie jedenfalls konnten wir ihn nicht feststellen - im Gegenteil. Die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Pflege haben weiter zugenommen. Der "Pflexit" ist eine mediale Debatte, die in die Zeit passt. Die Daten passen aber nicht zur Erzählung. Ob es aber zu einem verstärkten Berufsaustritt kommen kann, würde ich nicht ausschließen. Hier hoffe ich auf die oben benannte Berufstreue und auf die Ergebnisse zahlreicher Studien, die eines immer wiederkehrend aufzeigen: Pflegende sind mit ihrem Beruf zufrieden, aber nicht mit den Bedingungen, unter denen sie ihn aktuell ausüben.
Wie wichtig ist das Angebot eines sicheren Arbeitsplatzes für die Auszubildenden?
In einer größeren Befragung von fast 900 Auszubildenden in NRW haben wir gesehen, dass die Arbeitsplatzsicherheit auf dem dritten Rang lag bezüglich der Frage, wieso sie sich für den Pflegeberuf entschieden haben.
Welche Gründe sind bei der Befragung auf Platz eins und zwei gelandet?
Auf Platz eins lag der Wunsch, sinnstiftend und helfend tätig zu sein und Platz zwei war die bewusste Entscheidung nach einem Praktikum.
Wir danken Prof. Dr. Michael Isfort für dieses Interview.