Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden der AcU, Dr. Matthias Scholz
Dr. Matthias Scholz, die AcU schaut aus unternehmerischer Sicht auf die betriebliche Altersvorsorge in Kirche und Caritas und die KZVK. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?
Die aktuelle Situation stellt sich aus meiner Sicht leider enttäuschend dar. Es gibt eine außerordentlich große Beharrungskraft bei den Entscheidungsträgern, das jetzige System der betrieblichen Altersvorsorge in Kirche und Caritas im Grundsätzlichen unverändert zu lassen. Dies ist erstaunlich, denn bei genauerem Hinsehen sind die Risiken, die auf dem bisherigen System der betrieblichen Altersvorsorge lasten, unverändert. Wir haben gegenüber den 1980er Jahren, als das System geschaffen wurde, eine höhere Lebenserwartung. Dies bedeutet, dass mehr Menschen länger Rente bekommen. So sehr dies jedem einzelnen zu gönnen ist, ein Altersvorsorgesystem muss auf diese Entwicklung reagieren, damit auch wirklich alle bis zum Schluss ihre Rente bekommen und diejenigen, die das System bezahlen und das sind weit überwiegend die Unternehmen und Organisationen in der Caritas, ihre Zahlungen auch dauerhaft und kalkulierbar leisten können.
Ein weiterer Punkt: Die KZVK legt den größeren Teil der Beiträge, die sie aktuell bekommt, am Kapitalmarkt an. Die Zinsen dieser Kapitalanlagen sind ein wesentlicher Baustein der Finanzierung der Kasse. Auch wenn das Zinsniveau heute höher ist als vor zwei Jahren, langfristig erwartet niemand, dass wir ein Zinsniveau wie in den 1990er Jahren oder zu Beginn der 2000er Jahre bekommen. Dies bedeutet, dass Zinserträge auf lange Sicht nicht die Rolle für die Finanzierung der Renten spielen werden, wie vor zwanzig Jahren gedacht.
Und schließlich, das jetzige System der betrieblichen Altersvorsorge hat sich jahrzehntelang darauf gestützt, dass die Anzahl der Versicherten wächst. Zwar ist in den letzten Jahren der Versichertenbestand weiter angewachsen, in der AcU glauben wir jedoch, dass sich das ändern wird. Schon heute gibt es zahlreiche Insolvenzen z. B. im Krankenhausbereich. Betroffen sind in erster Linie konfessionelle Häuser und angesichts der geplanten Krankenhausreform wird sich dieser Trend weiter verstärken. In der Altenhilfe fehlt es massiv an Personal, so dass einzelne Häuser aufgegeben werden müssen. Die Hoffnung, dass der Versichertenbestand in der KZVK weiterwächst, erscheint uns zu optimistisch. Daher müssen die Rahmenbedingungen der betrieblichen Altersvorsorge in Kirche und Caritas dringend grundsätzlich reformiert werden.
Wie kann es bei diesen schwierigen Rahmenbedingungen gelingen, dass die caritativen Unternehmen ihren Mitarbeitenden auch in Zukunft eine attraktive Altersvorsorge anbieten können?
Aus unserer Sicht – und da wissen wir uns mit der Dienstgeberseite der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas (AK) und mit Vertretern anderer großer Träger und Verbände einig – muss es zwei grundlegende Reformschritte geben: erstens eine Loslösung des kirchlichen Systems vom System des öffentlichen Dienstes und zweitens eine Umstellung der Garantieleistungen der Kasse auf Beitragsgarantien.
Würden Sie die AcU-Forderungen bezüglich der Reformschritte bitte etwas näher ausführen?
Nach wie vor ist das System der betrieblichen Altersvorsorge bei Kirche und Caritas an das System des öffentlichen Dienstes gebunden. Diese Bindung geht bis ins letzte Jahrhundert zurück und wurde unter gänzlich anderen Rahmenbedingungen eingegangen. Damals waren kirchliche und kommunale Dienste in ihren Strukturen und Finanzierungen sehr ähnlich. Dies hat sich in den letzten 30 Jahren deutlich geändert. Im Jahr 2026 wäre die Gelegenheit, sich aus der Bindung an den öffentlichen Dienst zu lösen, denn der entsprechende Tarifvertrag im öffentlichen Dienst läuft aus und muss neu verhandelt werden. Bei den Verhandlungen sitzt die Kirche natürlich nicht mit am Tisch, muss aber, Stand heute, am Ende das Ergebnis übernehmen. Ein Ergebnis, das die Einrichtungen mit weiter steigenden Beiträgen zusätzlich belasten könnte. Bei kommunalen Einrichtungen würden diese zusätzlichen Belastungen von den Kommunen getragen werden. Bei caritativen Einrichtungen geht das nicht. Sie müssen das Geld erwirtschaften. Daher wäre es dringend geboten, das System der betrieblichen Altersvorsorge bei Kirche und Caritas aus dieser Bindung zu lösen, um eine Gestaltungsfreiheit zu bekommen, die es ermöglicht, das System an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen.
Als AcU schlagen wir vor, das System der betrieblichen Altersvorsorge so zu ändern, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt – je eher, desto besser – für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die eingezahlten Beiträge garantiert werden, nicht jedoch, wie es jetzt ist, die Beiträge plus eine weit über Marktniveau liegende Verzinsung. Das ist kein besonders revolutionärer Vorschlag, sondern damit würde nur das nachvollzogen, was in der betrieblichen Altersvorsorge außerhalb der Kirche schon länger gelebte Praxis ist. Aber dazu scheint bei der Kirche keine Bereitschaft zu bestehen, denn dazu müssten eine Reihe von Entscheidungen getroffen werden, wie z. B. die Lösung vom öffentlichen Dienst.
Ein weiterer Punkt ist uns wichtig: Ja, die KZVK ist, soweit wir das einschätzen können, unter den gegebenen Rahmenbedingungen und mit Sicht auf die nächsten Jahre stabil. Allerdings besteht nach wie vor der Anspruch der vollständigen Kapitaldeckung der finanziellen Verpflichtungen der KZVK, sprich sämtlicher Rentenzahlungen. Die Erfüllung dieser Verpflichtung wird aktuell für die Mitte der 2050er Jahre angepeilt. Das bedeutet, so lange besteht für kirchliche Träger das Risiko, die sogenannte Deckungslücke ausgleichen zu müssen, falls es notwendig werden sollte. Schon dies ist ein Verschieben der Problematik auf nachfolgende Generationen. Daher haben wir kein Verständnis für Überlegungen, die das Schließen der Deckungslücke noch weiter hinauszuschieben.
Welche Rolle spielt dabei die beim VDD angesiedelten AG „Zukunft der bAV“?
Zwar liegen jetzt, Frühjahr 2024, noch keine Ergebnisse der Arbeitsgruppe des VDD vor, aber alles, was wir aus Gesprächen rund um das Thema hören, deutet darauf hin, dass es keine Reformschritte auf Seiten der Kirche geben wird, allenfalls wird es wahrscheinlich ein paar Reformen auf Seiten der KZVK geben. Die allgemeine Haltung scheint zu sein, alles ist in Ordnung, es gibt kein Problem, die Kasse ist stabil. Diese Sichtweise richtet den Blick wieder auf die KZVK. Die KZVK ist jedoch gar nicht gemeint, wenn wir als AcU von einer Reform der betrieblichen Altersvorsorge reden. Gemeint ist vielmehr die Kirche und ihr folgend auch die Caritas. Schließlich wurde auch die AG „Zukunft der bAV“ und nicht „Zukunft der KZVK“ genannt. Die KZVK hat ihre Hausaufgaben in einem großen Reformprozess in den Jahren 2018-2020 bereits gemacht. Die KZVK ist auch nur ausführendes Organ dessen, was auf kirchlicher Seite als System geschaffen und weiterentwickelt wird. Nun wäre die Kirche dran, das System weiterzuentwickeln, dazu nehme ich jedoch bei den entscheidenden Akteuren keinen Willen wahr.
Noch ein Wort zu den Belastungen für die caritativen Unternehmen. Wie wirken sich die höheren Kosten für die betriebliche Altersvorsorge in der Caritas im Vergleich z.B. zu den kommunalen Anbietern aus?
Kommunale und kirchliche Anbieter haben ein sehr ähnliches System der betrieblichen Altersvorsorge. Das liegt an dem entsprechenden Tarifvertrag, den anzuwenden sich die Kirche verpflichtet hat. Allerdings sind die finanziellen Rahmenbedingungen zwischen kommunalen und kirchlichen Anbietern mittlerweile sehr unterschiedlich. Während zum Beispiel die Kommunen ihren Krankenhäusern Defizite mit jährlich einer Summe von mehr als einer Milliarde Euro ausgleichen, geschieht dies auf kirchlicher Seite nicht. Öffentliche Dienstleistungen sind weiterhin erheblich steuer- und abgabefinanziert, kirchliche Dienste müssen sich dagegen fast ausschließlich in marktähnlichen oder Marktstrukturen behaupten, d. h. sie müssen ihr Geld selbstständig verdienen. Und dies ist nicht nur im Krankenhausbereich so. Auch viele ambulante Dienste, selbst der Rettungsdienst in einigen Bundesländern, müssen sich in marktähnlichen Strukturen behaupten. Dies bedeutet, durch ein nicht zeitgemäßes System der betrieblichen Altersvorsorge werden caritative Anbieter deutlich mehr belastet als kommunale Anbieter. Verstärkt wird diese Entwicklung durch den erklärten politischen Willen, Dienstleistungen im Sozial- und Gesundheitsbereich zu rekommunalisieren, d. h. wieder in kommunale Hand zu übernehmen.
Welche Vorteile bringt eine gut ausfinanzierte und für die Zukunft gesicherte Altersversorgung den Mitarbeitenden und auch den caritativen Unternehmen?
Jetzt habe ich viel über Risiken und zusätzliche finanzielle Belastungen für caritative Anbieter gesprochen. Es könnte der Eindruck entstehen, wir wollten das System abschaffen. Dem widerspreche ich ausdrücklich! Wir wollen das System nicht abschaffen, sondern es langfristig solide, kalkulierbar finanziert und beitragsstabil gestalten, mit einem möglichst geringen Risiko für die Träger. Wir sind froh, dass wir eine betriebliche Altersvorsorge haben! Besonders in Zeiten des Fachkräftemangels ist dies ein wichtiger Baustein, um den Arbeitsplatz Caritas auch und gerade für ältere, erfahrene Fachkräfte attraktiv zu erhalten. Insgesamt sollten aber auch die Mitarbeitenden ein Interesse daran haben, eine gut und stabil ausfinanzierte betriebliche Altersvorsorge zu haben. Je eher das System voll kapitalgedeckt ist, desto besser für alle Beteiligten. Im jetzigen System ist das, wie gesagt, erst für die Mitte der 2050er Jahre angepeilt. Durch eine grundlegende Systemreform könnte das Ziel einige Jahre früher erreicht sein und dadurch das System insgesamt stabiler werden.